Heike Loosen

Was ist Neuroplastizität?

Abbildung eines neuronalen Netzes

Neuroplastizität bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns, sich lebenslang verändern zu können, indem es neue neuronale Bahnen knüpft und bestehende Strukturen ausbaut und verstärkt. Dadurch wird es möglich, sich z. B. an neue Situationen und Herausforderungen anzupassen, neue Dinge zu lernen oder Verletzungen zu überwinden. Neuroplastizität ermöglicht es uns, die eigene kognitive Leistung zu verbessern und das Potenzial unseres Gehirns voll auszuschöpfen.

Der Begriff und das Konzept der Neuroplastizität entwickelten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts. Historisch gesehen glaubte man bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, dass das Gehirn eines Erwachsenen nach der Kindheit fest und unveränderlich sei. Die Vorstellung eines „statischen Gehirns“ war lange Zeit die vorherrschende Meinung. Erst in den 1960er Jahren konnten Forscher wie Michael Merzenich experimentell beweisen, dass auch das Gehirn von Erwachsenen anpassungsfähig ist. Wir können unsere mentalen Fähigkeiten und kognitiven Leistungen nachweislich bis ins hohe Alter verbessern.

Wie funktioniert Neuroplastizität?

Das Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen (Neuronen). Diese Zellen kommunizieren miteinander über Synapsen, kleine Verbindungen, die elektrische und chemische Signale weiterleiten. Je mehr Synapsen im Gehirn vorhanden sind, desto leistungsfähiger ist das Gehirn. Wenn wir etwas Neues lernen oder eine Fertigkeit üben, werden diese Verbindungen verbessert, verstärkt oder neu gebildet. Dadurch verändert sich unser Gehirn physisch. Man kann sagen, dass die Infrastuktur unseres Gehirns ausgebaut wird – das ist der Kern der Neuroplastizität.

Wie kann ich die Neuroplastizität meines Gehirns fördern?

Wir haben das Gehirn, das wir brauchen, um unseren Alltag zu bewältigen. Bei einem Menschen, der jeden Tag immer das Gleiche tut, besteht keine Notwendigkeit zu strukturellen Umbaumaßnahmen. Neuroplastizität findet bei ihm quasi nicht statt.

Im Alltag eines aktiven Menschen, der oft mit neuen Situationen und Herausforderungen konfrontiert wird, muss sich das Gehirn jedoch anpassen, um die neuen Aufgaben bewältigen zu können. Hier kommt automatisch die Neuroplastizität zum Tragen. Du kannst Dein Gehirn allerdings unterstützen und ihm helfen, möglichst viele neue Bahnen zu knüpfen und die bestehenden neuronalen Netze zu schützen.

Mit diesen Maßnahmen förderst Du die Neuroplastizität:

1. Moderate Bewegung und Sport

Bewegung fördert nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern verbessert auch die allgemeine Gehirnleistung. Regelmäßige körperliche Aktivität regt die Produktion des Wachstumsfaktors BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) an, einem Protein, das neuronales Wachstum und die Bildung neuer Synapsen unterstützt und das gerne auch „Synapsendünger“ genannt wird.

2. Mentales Training, Gehirn- und Gedächtnisübungen

Kreuzworträtsel, Schach oder Sudoku stimulieren das Gehirn. Man sollte sie jedoch nicht ausschließlich üben, da hierdurch jeweils nur spezifische Fähigkeiten trainiert werden. Ganzheitliche Trainings, wie das Lösen unterschiedlicher Rätseltypen oder ganzheitliches Gedächtnistraining, stimulieren das Gehirn allumfassender und fördern die Entstehung neuer neuronaler Verbindungen. Der WDR hat mit mir und dem Hirnforscher Dr. Martin Haupt einen Beitrag zu dem Thema gebracht, den Du Dir hier ansehen kannst.

3. Lernen und kreative Tätigkeiten

Aktivitäten wie das Erlernen neuer Sprachen, Tanzen, Spielen eines Musikinstruments, Malen oder Schreiben fördern nachweislich die Neuroplastizität. Sie fordern das Gehirn heraus, neue Fähigkeiten zu erlernen und stärken so die kognitiven Netzwerke.

4. Soziale Interaktionen

Der Austausch mit anderen Menschen und das gemeinsame Lösen von Problemen stärken kognitive Fähigkeiten. Daher sind insbesondere Gruppenstunden zu ganzheitlichem Gedächtnistraining, Tanzkurse oder Sprachkurse in Volkshochschulen doppelt wertvoll.

5. Routineänderungen

Selbst das Ändern kleiner Routinen kann die Neuroplastizität fördern und das Gehirn dazu anregen, neue Netzwerke zu bilden. Verwende einmal die nicht dominante Hand zum Zähneputzen oder suche Dir einen anderen Weg zur Arbeit. Eine lustige Übung ist diese: Versuche einmal auf eine Ja/Nein Frage die entgegengesetzte Kopfbewegung zu machen. Wenn Du „Ja“ antwortest, schüttle dabei gleichzeitig den Kopf.

6. Gesunder Lebensstil

Schlaf, gesunde Ernährung und der Abbau von Stress tragen dazu bei, das Gehirn fit zu halten und neuroplastische Prozesse zu unterstützen. Ein gesunder Lebensstil sorgt dafür, dass Stoffwechselprodukte abgebaut werden, genügend „Baustoffe“ für neue Synapsen zur Verfügung gestellt werden und schädliche Substanzen, wie z. B. freie Radikale, minimiert werden.

Wie hilft mir die Neuroplastizität im Alltag?

Neuroplastizität erlaubt uns, das volle Potenzial unseres Gehirns auszuschöpfen, eine neue Fähigkeit zu erlernen und in Alltag und Beruf konzentriert und leistungsfähig zu bleiben. Wenn Du mit neuen Situationen und Herausforderungen konfrontiert wirst, fühlt sich am Anfang alles schwer an, aber mit Übung wird es leichter, weil das Gehirn seine Struktur anpasst.

Wie hilft mir die Neuroplastizität in der Rehabilitation und der Vorsorge fürs Alter?

Nach einer Verletzung des Gehirns, wie etwa einem Schlaganfall, kann Neuroplastizität dazu beitragen, verlorene Funktionen wiederherzustellen. Durch gezielte Therapie- und Trainingsmethoden können neue Verbindungen gebildet werden, die geschädigte Bereiche des Gehirns kompensieren und zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen.

Im Alter nimmt die Flexibilität des Gehirns zwar ab, aber das bedeutet nicht, dass es nicht mehr anpassungsfähig ist. Studien zeigen, dass Menschen, die geistig und körperlich aktiv bleiben, länger von den Vorteilen der Neuroplastizität profitieren. Regelmäßige geistige Herausforderungen können den altersbedingten kognitiven Abbau verzögern, da durch regelmäßiges Gehirntraining zusätzliche neuronale Netzwerke als geistige Reserve aufgebaut werden können, die im Alter als Puffer gegen kognitive Beeinträchtigungen wie Demenz wirken können.

Die Grafik zeigt das Verhältnis von Gehirnaktivität und Alter. Sie illustriert, dass Symptome, z. B. einer beginnenden Demenz erst auftreten, wenn die Gehirnaktivtät unter einen bestimmten Schwellenwert fällt.
Die geistige Reserve sorgt dafür, dass sich kleinere Einflüsse, wie eine beginnende Hirndegeneration nicht in Symptomen zeigen

Fazit: Nutze die Kraft der Neuroplastizität

Neuroplastizität zeigt uns, dass unser Gehirn formbar ist und wir die Möglichkeit haben, es aktiv zu trainieren, zu stärken und das volle Potenzial unseres Gehirns auszuschöpfen. Egal in welchem Alter – durch gezieltes Training und eine gesunde Lebensweise können wir unser Gehirn optimal nutzen und sogar unsere kognitive Leistung steigern.

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3 Kommentare

  • Liebe Heike, vielen Dank für deinen spannenden Artikel. Ich finde das Konzept der Neuroplastizität faszinierend. Es zeigt, wie unglaublich anpassungsfähig unser Gehirn unser ganzes Leben lang ist. Als Qigong- und Taiji-Lehrerin erlebe ich täglich, wie Bewegung, bewusste Atmung und Achtsamkeit sich positiv auf unser Gehirn auswirken und z. B. die Koordination verbessern. So schön, dass wir, egal in welchem Alter, unsere geistige Gesundheit aktiv unterstützen können. Ich wünsche mir, dass ganz viele deinen Artikel lesen und gleich mit dem Gehirntraining beginnen. Herzlichst Romana

    Antworten
    • Liebe Romana,
      vielen Dank für Deinen wertschätzenden Kommentar. Ich freue mich, dass Du mit Deiner Arbeit das Konzept bestätigen kannst.

      Ganz herzliche Grüße Heike

      Antworten

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